Nette-Gut: Leben und Arbeiten hinter dem Zaun

Der Koblenzer Bundestagsabgeordnete Josef Oster im Austausch mit dem Expertenteam der forensischen Klinik für Psychiatrie in Weißenthurm

Maßregelvollzug statt einer Gefängnisstrafe – das erwartet Straftäter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht oder vermindert schuldfähig sind. Viele dieser Menschen leben in Weißenthurm in der Klinik Nette-Gut. In Gebäuden mit Zimmern statt Zellen, auf einem weitläufigen Gelände, das nicht durch dicke Gefängnismauern abgeschirmt ist, sondern durch eine doppelte Zaunanlage. Man kann durchschauen. Von beiden Seiten.

Jeder in Weißenthurm und weit darüber hinaus kennt die Klinik – und doch setzt in der Regel kaum jemand einen Fuß hinter diesen Zaun. Umso größer war das Interesse des CDU-Bundestagsabgeordneten Josef Oster an der umfangreichen und vielschichtigen Arbeit des Nette-Teams. In einem intensiven Austausch mit dem Ärztlichen Direktor Dr. Frank Goldbeck sowie dem Geschäftsführer des Landeskrankenhauses Dr. Alexander Wilhelm und dessen Stellvertreter Dr. Thorsten Junkermann machte sich der Abgeordnete aus Koblenz ein genaues Bild von der Einrichtung. 

Mit offiziell 390 Behandlungsplätzen ist das Nette-Gut eine der größten Kliniken für forensische Psychiatrie in Deutschland. Träger der Klinik ist das Landeskrankenhaus, der größte Krankenhausträger im psychiatrisch-psychotherapeutischen und neurologischen Bereich in Rheinland-Pfalz. 5000 Mitarbeiter in 30 Einrichtungen beschäftigt das öffentliche Unternehmen. Etwa 580 davon in Weißenthurm. 

Sie sind Ärzte und Juristen, Pfleger, Pädagogen und Therapeuten und vieles, vieles mehr. Sie arbeiten oft am Limit. Mit aktuell 450 Patienten ist die Einrichtung deutlich überbelegt. Bei dem Besuch einer Station in der Klinik sieht der Abgeordnete, wie sich dies abbildet: Dreibettzimmer, wo nur zwei Patienten angedacht sind, entsprechend voll das Speisezimmer zur Mittagszeit, der Aufenthaltsraum, die Flure. „Das birgt sicher Konfliktpotenzial“, glaubt Oster. Die Patienten müssen auf Handys, Tablets, Internet verzichten. Nur ein Gemeinschaftsfernseher sorgt für mediale Zerstreuung. Leben in einer Wohngemeinschaft mit 24/7-Aufsicht. Die Stationsleiterin erklärt dem Politiker: „Es gibt klare Regeln und Abläufe. Aber wir begegnen den Patienten auf Augenhöhe.“ Die Männer dieser Station dürfen raus aufs Gelände. Manche unter strikten Vorgaben, andere unter Aufsicht. Wieder andere gehen einer Arbeit nach. Teils sind sie schon sehr lang hier.

Unfassbar lang. „Jahrzehnte. Für den Maßregelvollzug gibt es keine zeitliche Begrenzung“, erklären die Geschäftsführer.  Hier geht es in erster Linie nicht um die Genesung oder Stabilisierung eines Menschen um seiner selbst Willens, sondern um den Schutz der Allgemeinheit vor diesem Menschen. Sicherung und Besserung sind die Schlagworte. Erst wenn die Justiz feststellt, dass keine Gefahr mehr von dem Täter ausgeht und die adäquate Zeit an Freiheitsentzug entsprechend abgegolten ist, kann er die Einrichtung verlassen. Doch dieser Schritt ist oft kompliziert. 

„Manche bleiben hier für den Rest ihres Lebens“, erklärt Frank Goldbeck. Auf 47 Jahre hat es ein Patient gebracht, der erst kürzlich in der Einrichtung verstorben ist. Er war über 90, hätte längst nicht mehr dort sein müssen. Doch selbst wenn – zum Beispiel – ein greiser Sexualstraftäter biologisch zu nichts Verwerflichem mehr in der Lage ist, buhlen  Seniorenheime freilich nicht um einen solchen Bewohner. Die stetig alternde „Gesellschaft“ hinter dem Klinikzaun stellt das Team vor viele neue Herausforderungen. Demenz ist da nur eins von mehreren Themen. 

„Wir brauchen dringend geeignete Folgeeinrichtungen, die nach dem Maßregelvollzug greifen“, sind sich die Experten einig und richten genau diesen Wunsch an die Politik. „Wenn alle Patienten, die eigentlich nicht mehr hier sein müssten, raus wären, dann hätten wir auf Dauer auch keine Überbelegung.“ Finanziell sei es auf lange Sicht ein Gewinn. 

16 Prozent der Patienten sind Sexualstraftäter, 7 Prozent haben einen Menschen getötet. 42 Prozent aller Patienten in der Klinik sind suchtkrank, knapp 27 Prozent leiden unter Schizophrenie. Und auch wenn hinter dem Klinikzaun das Bild verschoben ist: „99,5 Prozent aller Straftäter sind nicht psychisch krank“, betont der Ärztliche Direktor Goldbeck.

Josef Oster bedankte sich bei dem Team für die aufschlussreichen Stunden und das informative Gespräch in der Klinik. „Mit Ihrer Arbeit leisten Sie einen extrem wichtigen Dienst für die Gesellschaft“, so der Abgeordnete. „Das hat allerhöchsten Respekt und Wertschätzung verdient.“  

Zum intensiven Austausch in der Klinik Nette-Gut trafen sich (von links) Dr. Frank Goldbeck, Ärztlicher Direktor der Klinik Nette-Gut, der Koblenzer Bundestagsabgeordnete Josef Oster, Dr. Alexander Wilhelm, Geschäftsführer des Landeskrankenhauses und dessen Stellvertreter und Kaufmännischer Direktor der Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach Dr. Thorsten Junkermann.
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